Eine baugeschichtliche Preziose an der Freiestrasse

Manche wundert es, ein paar wenige ärgert es… doch das Quartier hat sich längstens daran gewöhnt: An die beiden schlecht unterhaltenen, zeitweise sogar besetzten Häuser an der Freiestrasse 134 und 138. Was auf den ersten Blick überhaupt nicht ersichtlich ist und nur wenige wissen: Diese beiden Stadthäuser sind eigentliche Zeugen der Wohnkultur des letzten Drittels des 19. Jahrhunderts. Alle Informationen finden sie hier. 

Es waren einmal die «Professorenhäuser»…

Erbaut wurden die beiden stattlichen Wohnhäuser 1876 von Georg Lasius, Professor für Baukonstruktionslehre und Leiter der Architektenschule des damals noch jungen Eidgenössischen Polytechnikums (der heutigen ETH). Georg Lasius errichtete das eine Haus («Auf der Hoeh’») für sich und seine Familie als avantgardistischen Experimentalbau, das zweite («Marienhöhe») für seinen Professorenkollegen Adolf Krämer. Es waren damals nicht nur die ersten Häuser im anschliessend schnell wachsenden äusseren Englischviertel. Sie wurden vor allem gemäss neusten Erkenntnissen in Backsteinbauweise mit wärmedämmenden Hohlbacksteinen erbaut, ein Konstruktionsmaterial, das in Zürich in dieser Zeit noch überhaupt nicht verwendet wurde. Sie sind Vorläufer des Backsteinbooms, den Zürich in den Jahren 1883 – 1914 erlebte. Die Wohnhäuser sind in ihrer innovativen Konstruktion integral und trotz einem in den 1970er-Jahren angefügten Zwischenbau intakt erhalten.

Direkter Bezug zum Böcklin-Atelier

Als Rückgebäude der Professorenhäuser an der Freiestrasse entwarf und errichtete Georg Lasius, der das Haus an der Freiestrasse 138 selber bewohnte, für den mit ihm befreundeten Maler Arnold Böcklin (1827 – 1901) auch das bereits seit längerem kantonal unter Schutz stehende Atelier. Die Böcklinstrasse gab es damals noch nicht, erschlossen war das Atelier ursprünglich über die Freiestrasse. Der Basler Maler wirkte hier von 1885 bis 1892. Die Professorenhäuser an der Freiestrasse stehen – verbunden durch eine grosszügige Gartenanlage – somit in einem direkten Bezug zum Atelier und bilden mit diesem ein Ensemble.

Ein schicksalhafter Verkauf als Auftakt für einen jahrelangen Rechtsstreit

2015 sind die beiden Häuser von ihrer vormaligen Besitzerin, der Ärztegesellschaft, an eine Immobilienentwicklungsgesellschaft verkauft worden, welche auf dem Areal einen Neubau in Form eines 45 Meter langen Riegels erstellen wollte. Einsprachen aus der Nachbarschaft waren vor Verwaltungsgericht und schliesslich auch vor Bundesgericht erfolgreich: Das Bauprojekt musste 2020 fallengelassen werden. Doch schon liegt ein neues, abgeändertes Projekt vor, in welchem fast 20 neue, teure Wohnungen vorgesehen sind. Obschon das Verwaltungsgericht seinerzeit eine Verschärfung der Quartiererhaltungszone verfügt hat, ist auch das neue Projekt der Bauherrschaft kaum mit diesen Vorgaben vereinbar. Umso erstaunlicher und störender ist der Umstand, dass die Stadt es bislang noch immer versäumt hat, die gerichtlich angeordnete Verschärfung des Zonenplans vorzunehmen.

Die Bedeutung der Bauten blieb unentdeckt

Die Bedeutung der Professorenhäuser und ihre Geschichte wurden von der Stadt unglücklicherweise jahrzehntelang übersehen, die Häuser wurden nicht ins Inventar aufgenommen. Es ist einem Zufall zu verdanken, dass Quartierbewohner im letzten Jahr auf fachwissenschaftliche Publikationen zu diesen Häusern stiessen. Mittlerweile haben Experten der ETH die Häuser eingehend untersucht und in einem umfangreichen Bauhistorischen Gutachten gewürdigt. Das Kompetenzzentrum Baudenkmal der ETH Zürich attestiert den «beiden Pionierbauten des Viertels» einen «hohen Zeugniswert». Über sozialgeschichtliche, architekturgeschichtliche sowie städtebauliche Aspekte hinaus kommt den beiden Wohnhäusern demnach insbesondere ein hoher bautechnikgeschichtlicher Zeugniswert zu: «In der um 1876 insgesamt noch experimentellen, in der Schweiz sogar präzedenzlosen und damals einzigartigen Konstruktion seines Wohnhauses mit wärmegedämmten Fassaden und zentraler Warmluftheizung demonstrierte Lasius seine aktive Beobachtung der neuesten baukonstruktiven Entwicklungen und seine weitblickende Haltung». Es handelt sich um einen nicht nur in Zürich, sondern wohl schweizweit einzigartigen Bau und damit um ein «sehr bedeutendes Zeugnis der Bautechnik- und Konstruktionsgeschichte».

Der Quartierverein setzt sich für den Erhalt der Professorenhäuser ein

Der Quartierverein hat sich im Juli in einem Schreiben an die Denkmalpflege der Stadt Zürich gewandt. Er setzt sich für den Erhalt des Ensembles ein, welches für Hirslanden und für ganz Zürich von grosser kulturhistorischer und bautechnikgeschichtlicher Bedeutung ist. Der Quartierverein verlangt, dass «die beiden Häuser an der Freiestrasse 134 und 138 unverzüglich unter Denkmalschutz gestellt und erhalten werden».

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  • Hier der Link zu einem Artikel zur NZZ

 

Foto von 1886, Fotograf Robert Breitinger, Professorenhäuser auf freiem Feld

 

Foto von ca. 1907 Ecke Jupiterstrasse/Freiestrasse, Fotograf unbekannt, rechts im Bild die Lasius-Professorenhäuser

 

Bilder sind von der Liegenschaft Freiestrasse 134 aus aufgenommen

Freiestrasse 138